Sonntag, 30. Juni 2013

Abschied, Schmerz und Hoffnung (II)

Der Tag der Bestattung

Um 6.30 Uhr in der Frühe trifft sich die Familie am Tag der Bestattung. Um Unglück zu vermeiden, erhält jeder Teilnehmer an der Trauerfeier zwei kleine Zweige mit Blättern und eine Münze für die Hosentasche.

Das riesige Zelt, das die gesamte Straßenbreite ausfüllt, ist jetzt komplett und opulent ausgeschmückt. Wie ein Tor zu einer Stadt der Trauer ist nun der Eingang zum Zelt hergerichtet. Das Portrait des Verstorbenen befindet sich auf der anderen Seite des Zeltes in einer gewellten, wunderschönen Landschaft aus Pflanzen und Blumen. Davor ist ein Tisch mit Weihrauchbehälter und anderen sakralen Gegenständen. Reihen von stoffüberzogenen Stühlen füllen den Rest des Zeltes aus. An den Seiten stehen die Blumengestecke.

Das die engeren Familienangehörigen wie an den Vortagen Trauerkleidung anzuziehen hatte, war mir klar. Es gab wieder weiße Hosen und Sweatshirts für alle Söhne, Schwiegertöchter, Töchter und Kinder der Söhne, darüber ärmellose Jutejacken, Kapuzen für die Frauen und zusammengenähte Mützen für die Männer. Während Söhne und Schwiegertöchter hellbraune Jute bekam, trugen ihre Kinder und die Töchter des Verstorbenen die gleiche Überbekleidung, aber in einem gelblicheren Gewebe. Diesmal wurden auch die drei Schwiegersöhne ausgestattet. Aus weißen Gewebe gab es ärmellose Jacken, einen Gürtel und Mützen.

Zunächst folgten im Trauerzelt weitere Zeremonien und Riten mit den Priestern des Beerdigungsinstituts. Ein Sprecher, sehr im Stil nordamerikanischer Prediger, leitete den Ablauf und sprach über den Verstorbenen. Die religiösen Handlungen nahmen die anwesenden Priester vor. Während von den näheren Verwandten die Frauen links vom Weihrauchbehälter standen, stellten sich die Männer rechts auf. Die weiteren Trauergästen nahmen auf den Stühlen Platz.

Im zweiten Teil der Trauerfeier sagten alle Gäste in Gruppen oder als Einzelpersonen dem Verstorbenen Dank oder erwiesen ihm die Ehre. Die vortreten wollten, hatten sie sich zuvor in einer Liste registriert. Nicht nur entfernte Verwandte, Freunde oder Nachbarn gehören dazu, sondern auch der Ortsbürgermeister, politische Parteien, Verbänden, Vertreter aus dem Unternehmen, in dem der älteste Sohn beschäftigt ist, und andere.

Zum Ende der Feierlichkeiten im Trauerzelt wurde der Sarg, der sich zuvor hinter der Blumenlandschaft verborgen im letzten Abschnitt des Zelts befand, in den Leichenwagen des Beerdigungsinstitutes, einem schweren amerikanischen Straßenkreuzer, geschoben. Überhaupt wird der Sarg meistens verborgen und man wendet sich möglichst von ihm ab.

Der Trauerzug bildete sich. Die Rolle der drei Schwiegersöhne - einschließlich meiner Person - war es nun, den Trauerzug anzuführen. Dabei ging der älteste Schwiegersohn (大姐夫) an der Spitze und streute Opfergeld auf die Straße. Ihnen folgte eine Musikgruppe und der Leichenwagen. Dahinter waren die nahen Verwandten und die anderen Trauergäste.

Nach einigen hundert Metern wurde am Rand des Dorfes in einen Bus umgestiegen. Dem Leichenwagen folgend ging die Fahrt zum Krematorium.

In ersten Wagen saß neben dem Fahrer auch der älteste Schwiegersohn. Bei geöffneten Fenster streute er weiter Opfergeld auf die Straße, bis das Ziel erreicht war. Im Krematorium ging dann alles ganz schnell. Als wir eintraten, befand sich der Sarg bereits auf dem linken Fördergestell zu einer der drei Feuerkammern. Die Halle war groß und schmucklos. Um die Klappen zu den Feuerkammer war die Wand von der Hitze geschwärzt. Diese Fabrikatmosphäre war schon grenzwertig, um dem Verstorbenen einen angemessenen letzten Abschied zu geben. An der rechten Feuerkammer hatte gerade eine Trauergesellschaft den Körper ihres Lieben den Flammen übergeben. Diese Gruppe erschien übrigens deutlich westlicher gekleidet. Das Krematorium bietet auch die Möglichkeit zur Verbrennung von Opfergaben, was wir bereits am Vortag im heimischer Umgebung erledigt hatten. In Kaohsiung sind Feuerbestattungen kostenfrei, weil damit Flächen gespart werden können und Problemen einer geeigneten Bodenbeschaffenheit für Friedhöfe aus dem Weg gegangen wird. Einige Wochen später erschien in der Lokalpresse ein Bericht über das Bochumer Krematorium, wo die Stadt als Betreiber medizinische Prothesen der Verstorbenen, insbesondere die Edelmetalle daraus, ohne Wissen und Einverständnis der Angehörigen noch für die eigenen Finanzen vergoldet wird. Ob das in Taiwan so ähnlich läuft?

Die drei Priester des Bestattungsinstituts leiteten für uns im Krematorium die Zeremonie vor dem Sarg mit Danksagungen, Verbeugungen mit Räucherstäbchen und Niederknien. In der ersten Reihe standen die Söhne und der erstgeborene Enkelsohn, dann folgten Schwiegertöchter und weitere Kinder der Söhne, die Schwiegertöchter und anderen Trauergäste. Der erstgeborene Sohn trug wieder den Fetisch vom Vortag. Wir dankten und verabschiedeten uns wieder gegenüber dem Verstorbenen und warfen uns vor ihm auf den harten und staubigen Boden des Krematoriums. Beim Aufstehen war der Sarg aus edlem Holz, in Papier gehüllt und mit gefaltenen Papierlotusblüten geschmückt, bereits hinter der geschlossenen Feuerkammertür verschwunden.

Mit dem Bus ging es sofort zurück. An jeder Straßenkreuzung und Brücke wurde der Verstorbene angerufen. Bei der Ankunft war das große Trauerzelt schon fast wieder abgebaut. Alle Trauergäste wuschen sich symbolisch mit Wasser aus Eimern und aßen von einem großen Kuchen. Bei der Verabschiedung gab es für die Gäste Päckchen, gefüllt mit Kuchen und süßen Milchtee, beziehungsweise zur Danksagung auch einen Kartons mit Handtüchern. Der Priester reinigte nun die Straße mit Wasser und Glockenläuten von allem Bösen. Die noch anwesenden Verwandten aßen zur mittlerweile erreichten Mittagszeit gemeinsam Reis und eine süßsaure Gemüsesuppe.

Die Berge im Rücken, das Meer vor sich - Beerdigungsstätten wie nahe Kending mit so einem guten Feng Shui sind ein Ideal, das sich nur frühere Generationen leisten konnten. Heute sind solche Ruheplätze für fast alle Taiwaner unerreichbar. Der moderne Staat fördert massiv Feuerbestattungen.

Die Söhne und der Sohn des Erstgeborenen fuhren am frühren Nachmittag mit einem Wagen des Beerdigungsinstituts zurück zum Krematorium, um die erkaltete Asche und Überreste in die Urne zu füllen und abzuholen. Das Aufnehmen der Knochen ist dabei eine wichtige Handlung.

In der Zeit waren die anderen Verwandten bereits auf dem Weg zum Beinhaus. Beinhäuser sind für viele in Taiwan offenbar eine Kapitalanlage, denn die kleinen unbelegten Ruhestätten können zu einem höheren als den Erwerbspreis später weiter veräußert werden. Der Preis soll sich dabei nach der Lage im Gebäude richten. Die Anlage, zu der wir fuhren, hatte zwei große Turmbauten und dazwischen einen Tempel mit drei großen Statuen im Inneren.

Jeder der gewaltigen Türme hat etwa sieben bis neun Stockwerke. Ähnlich einem Archiv sind im Inneren enge Gänge mit Kassettenschränken, die tausende von Urnen aufnehmen kann. Neben dem Treppenhaus verfügten die Türme auch über eine Aufzugsanlage. Nach einer Zeremonie im Tempel wurde die Urne zu ihrem Platz gebracht. Die Priester segneten den Ort und jeder verabschiedete sich nochmals vom Verstorbenen. Nachdem ich als letzter Trauernder passiert hatte, schloss der Wärter die Kassette.

Zurück im Dorf wurden noch die Gaben für den Verstorbenen aufgeteilt. Dabei waren viele zweckmäßige Dinge, die ihm im Jenseits zu Gute kommen, wie Lebensmittel, Nudeln, Öl oder Getränke. Möglichst am gleichen Tag ging der Weg der Söhne noch für einen Kurzhaarschnitt zum Frisör und der Rasierer wurde auch wieder benutzt. Für die kommenden Monate gab es einen Plan vom Bestattungsinstitut, welche religiösen Ämter und Dienste für den Verstorben erfolgen müssen. Am Hausschrein wird ihm gedacht und so bleibt er zwischen uns, teilt mit uns die Träume und Gedanken.

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